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Jochen Hippler
„The Decisive Battle is for the People’s Minds“ – Der Wandel des Krieges: Folgerungen für die Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik
Die Kriege in Afghanistan und dem Irak – und einigen anderen Ländern – sind zweifellos Kriege, aber sie unterscheiden sich nicht nur graduell, sondern grundlegend von denjenigen Kriegsformen, die das politische und militärische Denken weiterhin direkt und indirekt prägen. Die „klassischen“ zwischenstaatlichen Kriege folgten völlig anderen Regeln als die heute viel häufigeren Kriege innerhalb von Staaten und Gesellschaften, die vor allem in der Form gewaltsamer Aufstände oder im Kontext zerfallender Staaten geführt werden. Dies führt in der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik nicht selten zu Verwirrung oder konzeptioneller Richtungslosigkeit, wie etwa in Afghanistan zu beobachten ist. „Krieg“ ist kein einheitliches Phänomen, es ist historisch höchst wandelbar und hat seinen vielfältigen Charakter in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder dramatisch geändert. Die unterschiedlichen Facetten und Wandlungen des Charakters von „Krieg“ zu begreifen ist nicht allein für das Verständnis des Krieges selbst bedeutsam, sondern auch für die Frage, wie Kriege und andere Gewaltkonflikte beendet werden können.
Der „klassische“ Krieg Der Kriegsbegriff weckt noch immer Assoziationen, die aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen. Bei dem Wort „Krieg“ denken wir in aller Regel an eine Art erweiterten Zweikampf, bei dem Staaten (oder Koalitionen von Staaten) durch den Einsatz von Gewalt organisierter militärischer Verbände den jeweiligen Gegner militärisch zu schlagen trachten, um danach durch Verhandlungen oder Diktat einen neuen „Frieden“ zu begründen. Der klassische Krieg zielte auf die gewaltsame Neuregelung zwischenstaatlicher Machtverhältnisse, er wurde (und wird) vor allem durch hierarchisch bzw. bürokratisch organisierte und spezialisierte Kampfverbände geführt, und er hatte einen leicht erkennbaren Beginn, eine benennbare Dauer, und ein Ende. Krieg und Nicht-Krieg („Frieden“) waren deutlich abgegrenzt, was früher durch die Regel einer formellen „Kriegserklärung“ und einen anschließenden „Friedensvertrag“ noch unterstrichen wurde. Innerhalb dieses „klassischen“ Grundmusters markierten die napoleonischen Kriege bereits einen wichtigen Wendepunkt. „Im achtzehnten Jahrhundert“, so stellte Clausewitz zu Recht fest, „war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinetts, an welchem das Volk nur als blindes Instrument teilnahm“. Tatsächlich war in den damaligen Kabinettskriegen „die Behutsamkeit ein vorherrschender Charakterzug“, da die Herrscher und Feldherren ihre Gegner nicht vernichten, sondern nur deren Streitkräfte besiegen, und zugleich ihre eigenen, teuren und oft schwer zu ersetzenden Truppen keinen unnötigen Risiken aussetzen wollten. Die Bevölkerung hatte zwar unter diesen Kriegen zu leiden (beispielsweise durch Plünderungen zur Versorgung fremder und „eigener“ Heere), befand sich aber primär in einer Zuschauerrolle, da ihrer politischen Entmündigung auch eine militärische Marginalität entsprach.
Die napoleonische Transformation des klassischen Krieges zum Massenkrieg Die französische Revolution beendete diese Konstellation. Nachdem die Bevölkerung als politisches Subjekt die Bühne betreten hatte, wurde sie im Rahmen von Freiwilligen- oder Wehrpflichtheeren auch zur Trägerin der Kriege: Die Massenheere der napoleonischen Kriege rissen die Scheidewand zwischen Krieg und Gesellschaft ein und machten die Kriegführung zur Sache der ganzen Gesellschaft. Dies ging über die – bald auch von den Gegnern Napoleons übernommene – allgemeine Wehrpflicht weit hinaus und umfasste auch die wirtschaftliche und politische Indienststellung aller gesellschaftlichen Ressourcen für die Kriegführung. Damit konnten und mussten sich die militärische Strategie und ihre Taktiken gründlich ändern, weil etwa Verluste an Soldaten leichter auszugleichen waren oder die Motivation von Freiwilligen weit höher war als die der gepressten Bauernsöhne früherer Zeiten. Gleichzeitig bedeutete aber die neue Rolle der Bevölkerung als wichtigste Ressource der Kriegführung, dass diese zukünftig auch verstärkt zum Ziel militärischer Operationen werden musste. Als die früher tendenziell passive Bevölkerung in den Krieg eintrat und ihn aktiv mittrug, wurde sie stärker zum Ziel und intendierten Opfer von Krieg. So veränderte sich der grundlegende Charakter des Krieges von den Kabinetts- zu den Massenkriegen, die bis zum Korea- und Vietnamkrieg das Bild bestimmen sollten. Allerdings blieben gewisse Charakteristika noch unverändert, auch wenn sich spätere Änderungen schon andeuteten: Krieg wurde weiterhin zwischen den Soldaten gegnerischer Staaten bzw. Allianzen geführt und in einer Reihe von Schlachten entschieden, bei denen der militärische Apparat einer der beiden Seiten ge- oder zerschlagen wurde. Clausewitz drückte dies mit den Worten aus, „dass die Entwaffnung oder das Niederwerfen des Feindes, wie man es nennen will, immer das Ziel des kriegerischen Aktes sein muss.“ Auch dies würde sich jedoch später ändern.
Prinzipien der konventionellen Kriegführung Diese „klassische“ Art des modernen Krieges beruht seit Napoleon darauf, die eigene militärische Stärke vor dem Ausbruch des Krieges und während seines Verlaufs zu maximieren, sie unter Berücksichtigung spezieller Faktoren (etwa der Beschaffenheit der zu erwartenden Gefechtsfelder, der Charakteristika des Gegners, der politischen Ziele, etc.) in eine erfolgversprechende Strategie zu betten, diese Strategie durch taktisches Geschick in den einzelnen Gefechten und Schlachten umzusetzen und auf diese Art einen militärischen Sieg zu erringen. Neben der Motivation und dem Ausbildungsstand der Truppen und Offiziere sind bei einer solchen Form des Krieges die Feuerkraft der Streitkräfte sowie ihre Mobilität entscheidend. Wer die größtmögliche Feuerkraft möglichst flexibel auf taktisch klug ausgewählte Punkte der gegnerischen Streitkräfte lenken kann und wem es zugleich gelingt, der Feuerkraft des Gegners zu widerstehen oder ihr auszuweichen, der wird höchstwahrscheinlich militärisch siegen. Ein gleich kompetentes militärisches Personal vorausgesetzt sind also der Umfang und Mobilität der Feuerkraft (bei gleicher Qualität der Waffensysteme also die Größe und Beweglichkeit der Truppe) in der Regel kriegsentscheidend. Dies bedingt in klassischen Kriegen die hohe Bedeutung solcher Faktoren wie die Größe der Streitkräfte, die Bewaffnung und das technologische Niveau der Waffensysteme, sowie der Logistik und des Transportwesens und einer entsprechend dimensionierten ökonomischen, industriellen und technologischen Basis. Krieg erforderte in der Zeit der Massenheere notwendigerweise auch eine Massenproduktion und ein modernes Transportsystem – was seit dem amerikanischen Bürgerkrieg und allerspätestens dem Ersten Weltkrieg zu einer sozusagen industriellen Art der Kriegführung führte. Auch wenn sich die konkreten Kriegsformen deutlich unterscheiden konnten – wie etwa die statischen Stellungskriege und Materialschlachten des Ersten Weltkrieges von manchen „Blitzkriegen“ des Zweiten Weltkrieges – so änderte sich doch an der Notwendigkeit einer möglichst großen und modernen industriellen Basis sowie an den entscheidenden Faktoren Feuerkraft und Mobilität sehr wenig. Eine weitere, entscheidende Dimension des klassischen Krieges lag in geographischen bzw. räumlichen Faktoren. Dabei handelt es sich nicht allein um entsprechende Kriegsziele (etwa die Eroberung fremden Territoriums, die Annexion fremder Gebiete, etc.), sondern auch um die strategische Bedeutung des Raumes. Es galt, Städte oder Festungen zu erobern, zu besetzen und ggf. zu plündern, Landstriche oder Provinzen dem Gegner zu entreißen, die feindlichen Heere zu umgehen, zu verfolgen oder zurückzudrängen, und in letzter Konsequenz die feindliche Hauptstadt zu bedrohen oder einzunehmen. Klar abgegrenzte Frontverläufe, deren Extremfall die kaum veränderlichen Schützengräben des Ersten Weltkrieges darstellten, oder raumgreifende Vorstöße unter Durchbrechung oder Umgehung feindlicher Stellungen kennzeichnen den Verlauf klassischer Kriege. Räumliche Eroberungen waren dabei nicht nur Zweck, sondern auch taktisches Mittel (etwa um dem Gegner Rückzugsgebiete, Ressourcen oder Festungen zu nehmen), um die feindlichen Heere zur Schlacht zu zwingen und sie so zu schlagen und den Krieg für sich entscheiden zu können.
Folgerungen für die Beendigung klassischer Kriege Die Form klassischer Kriege impliziert bestimmte Arten und Wege einer Kriegsbeendigung. Die beiden Grundmuster bestehen offensichtlich (a) in der Kapitulation einer Seite aufgrund des militärischen Siegs des Gegners und (b) im Kompromiss beider Seiten, falls keiner ein Sieg gelingt. Beides wurde früher häufig durch entsprechende vertragliche Regelungen kodifiziert (Friedensverträge), ein Verfahren, das nach dem Ersten Weltkrieg jedoch zunehmend seltener wurde. Klassische Kriege zeichnen sich durch eine klare, polare Trennung der Kriegsparteien aus, die ihre jeweiligen, hierarchisch organisierten Streitkräfte zentral kontrollieren und führen. Diese zentralistische Organisationsform der Gewaltmittel bedeutet einerseits ein besonders hohes Zerstörungspotential, zugleich aber impliziert sie einfach strukturierte Möglichkeiten der Kriegsbeendigung und Konfliktbeilegung: Wegen der geringen Anzahl der Kriegsparteien und deren weitgehenden Kontrolle der eigenen Streitkräfte kann eine Beendigung des Krieges erreicht werden, wenn entweder eine Seite militärisch geschwächt ist oder beide eine Fortsetzung des Krieges nicht mehr für sinnvoll erachten. Die beiden Schlüsselfaktoren sind daher – in unterschiedlichem Mischungsverhältnis – die Kampfkraft und -bereitschaft der Streitkräfte (zu der auch innenpolitische und ökonomische Faktoren beitragen können) und die Diplomatie (zu der auch die Interpretation der jeweils eigenen Interessen, die Bewertung ihrer Durchsetzungsfähigkeit und damit der politische Wille gehören). Soweit eine Kriegsbeendigung nicht gewaltsam erfolgt, wird sie durch eine Neuabgrenzung der politischen Interessen beider Seiten im Rahmen von Verhandlungen möglich. Offensichtlich ist die Bedeutung der Diplomatie am größten bei einer Kriegsbeendigung durch Kompromiss zweier noch kriegsfähiger Parteien, am geringsten bei der Kapitulation einer Seite.
Formen und Begriffe unkonventioneller Kriegführung Inzwischen ist allgemein bekannt, dass zwischenstaatliche, klassische Kriege in den letzten Jahrzehnten ausgesprochen selten geworden sind, während innergesellschaftliche Gewaltkonflikte und Kriege massiv an Bedeutung gewonnen haben. Es ist bemerkenswert, dass es bisher keine überzeugende Sammelbezeichnung für diese nicht-konventionellen Kriegsformen gibt, auch wenn es an begrifflichen Vorschlägen nicht mangelt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war häufig von Small Wars (bzw. „Kleinkriegen“) die Rede. Dieser Begriff ist zwar noch präsent, aber etwas aus der Mode gekommen. Seine Schwäche liegt offensichtlich darin, diese Kriegsform als vor allem quantitativ anders („kleiner“) als konventionelle, klassische Kriege wahrzunehmen, was deren Charakter grundlegend missversteht. Der in den letzten Jahren häufig gebrauchte Ausdruck „Neue Kriege“ ist eingängig, aber wie „neu“ sie wirklich sind, lässt sich in Frage stellen, und auch dieser Begriff bezeichnet ihren Charakter nur höchst unzureichend. „Asymmetrische Kriegführung“ ist etwas hilfreicher, leidet aber unter einer Konnotation, bei der klassisches, konventionelles Denken durchscheint. Auch „klassisch“ geführte Kriege können ja in bestimmten Fällen (etwa eine Groß- oder Supermacht gegen einen Kleinstaat) höchst asymmetrischen Charakter tragen. Andere Begrifflichkeiten (etwa: Low-Intensity Warfare, Military Operations Other than War, Fourth Generation Warfare) stammen aus der angelsächsischen militärischen Literatur und leiden – insbesondere in den beiden letzteren Fällen – an beträchtlicher Inhaltsleere, sie sind zugleich oft bürokratisch ausgefüllt und nur mit Einschränkungen für wissenschaftliche Zwecke übertragbar. Deshalb bleiben wir hier vorläufig bei dem ebenfalls wenig befriedigenden Begriff des „unkonventionellen Krieges“, um so den Unterschied zum „konventionellen“ militärischen Zweikampf zwischen staatlichen Streitkräften zu kennzeichnen. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass neben den unterschiedlichen Formen innergesellschaftlicher Konflikte auch andere Kriegsformen existieren. Dazu gehören weiterhin „klassisch“ ausgetragene, zwischenstaatliche Kriege (etwa Iran-Irak, 1980-1988; Äthiopien-Eritrea, 1998-2000; USA und andere gegen Irak, 1991 und 2003) und zahlreiche Mischformen unterschiedlicher Kriegstypen (z.B. Vietnamkrieg, Balkankriege, äthiopische Intervention in Somalia). Darüber hinaus sollte nicht übersehen werden, dass Kriege durchaus ihren Charakter und ihre Form ändern können, wie der Afghanistankrieg seit 2001 und der Irakkrieg seit 2003 demonstrieren, die als unterschiedliche, wenn auch beide asymmetrische konventionelle Kriege begannen, um sich dann zu Aufständen/Aufstandsbekämpfung zu entwickeln.
Die Ergänzung und Schwächung klassischer Kriegsformen hatte sich historisch bereits früh angedeutet – ein Beispiel war der spanische Guerillakrieg gegen die napoleonische Besatzung. Im Kontext der Kolonisierung und Dekolonisierung der Dritten Welt kam es nur sporadisch zu größeren konventionellen Kriegsformen, da die lokalen Herrscher der späteren Kolonien wie auch die Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts häufig über keine oder nur rudimentäre konventionelle Truppenverbände verfügten. Aber auch danach kam es zunehmend zu Kriegen, die nicht primär aufgrund militärischer Stärke entschieden wurden: Als nach der Tet-Offensive 1968 in den USA die Entscheidung über den Abzug aus Vietnam fiel, hatte man den Krieg militärisch faktisch gewonnen – was aber bedeutungslos war, da er politisch nicht mehr durchzuhalten war. Als die US- (und andere ausländische) Truppen 1983 nach einem verheerenden Selbstmordanschlag auf das US-Hauptquartier fast fluchtartig aus Beirut abgezogen wurden, geschah dies trotz ihrer überwältigenden militärischen Überlegenheit über die verantwortliche Hisbollah. Auch der US-Abzug aus Somalia im Jahr 1993 fand nach geringen Verlusten und trotz einer haushohen Überlegenheit der USA in Truppenstärke, militärtechnischem Niveau und Feuerkraft gegenüber den somalischen Warlords statt. Alle drei Fälle endeten mit schweren politischen Niederlagen trotz geradezu überwältigender militärischer Überlegenheit. Ähnlich verhielt es sich mit den Niederlagen Frankreichs im Algerienkrieg oder der Sowjetunion in Afghanistan. Hätte es sich bei diesen Kriegen um klassische, konventionelle Auseinandersetzungen gehandelt, bei denen sich die Aufständischen den ausländischen Truppen in offener Feldschlacht entgegengestellt hätten (wie die irakischen den internationalen Truppen im Zweiten Golfkrieg 1991), wären Niederlagen der Großmächte undenkbar gewesen. In diesen und anderen Fällen wurden die jeweiligen Kriege allerdings nicht militärisch, sondern politisch entschieden – und die entscheidenden „Schlachtfelder“ bzw. strategischen Hebel waren die Gesellschaft und Politik der beteiligten Länder (Vietnam, Afghanistan und Somalia ebenso wie die USA, Frankreich und die UdSSR) sowie die internationale Öffentlichkeit, und nicht die Streitkräfte der Gegenseite.
Was ist neu an den neuen, nicht-klassischen Kriegsformen? Lösen wir uns hier von historischen Beispielen und wenden uns der analytischen Frage zu, was die nicht-klassischen Kriege von ihren klassischen Vorgängern unterscheidet. Idealtypisch lässt sich feststellen, dass die überwältigende Mehrheit der modernen Kriege nicht länger zwischen Staaten stattfindet, sondern innerhalb von Gesellschaften. Die beiden politisch wichtigsten und häufigsten Formen von Krieg oder größeren Gewaltkonflikten heute sind: -Aufstandskriege (Aufstände und Aufstandsbekämpfung/Counterinsurgency), bei denen gewaltsam um die Machtverteilung in einem Land gerungen wird. Dabei stehen sich in der Regel eine oder mehrere Aufstandsbewegungen und eine Regierung gegenüber. Nicht selten werden eine oder beide Seiten von auswärtigen Regierungen oder nichtstaatlichen Akteuren unterstützt. Die Kriege in El Salvador und Nicaragua in den 1980er Jahren sind klassische Beispiele. Sonderfälle bestehen bei Aufständen/Aufstandsbekämpfung gegen – reale oder als solche wahrgenommene – Besatzungstruppen (wie etwa in Afghanistan oder dem Irak). -Daneben gibt es kriegerische Auseinandersetzungen oder größere Gewaltkonflikte im Kontext von failed states, bei denen ein funktionierender Staatsapparat entweder nicht (mehr) existiert, irrelevant geworden oder auf das Niveau von Warlords oder Milizen abgesunken ist und verschiedene Gruppierungen (Warlords, ethnische oder ethno-religiöse Gruppen, „Gewaltunternehmer“, etc.) um Macht oder Ressourcen kämpfen. Somalia oder Afghanistan in den 1990er Jahren stellen Beispiele dieses Typs dar. Die Unterschiede zwischen diesen Kriegstypen sind zwar bedeutsam, werden aber oft überschätzt. Beide werden kaum jemals konventionell geführt, auch wenn in beiden Fällen häufig konventionell bewaffnete militärische Einheiten beteiligt sind. In beiden Fällen sind Kriegsbeendigungen durch militärische „Siege“ ausgesprochen selten und meist unmöglich, zumindest bevor nicht eine Seite politisch bereits verloren hat. Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass beide Typen keine Gegensätze darstellen müssen, sondern miteinander verbunden sein können: Aufstandskriege können einerseits zur Schwächung oder Fragmentierung von bereits fragiler Staatlichkeit führen und das Tor zum Staatszerfall öffnen. Oder – falls eine solche Kriegsform bereits im Kontext fragmentierender Staatlichkeit stattfindet – kann ein Aufstandskrieg zum endgültigen Auseinanderbrechen oder Scheitern eines Staatsapparates führen, wenn zum Beispiel Aufständische den Staat massiv schwächen, selbst aber nicht die Macht erringen, sondern sich die Fragmente des Staatsapparates verselbständigen und zu eigenständigen Gewaltakteuren werden. Deshalb sind die Grenzen beider Kriegstypen durchaus fließend.
Bei den Fällen von Aufstandskriegen und Kriegen in failed states fällt auf, dass der Gewinn oder Verlust von Territorium und die Größe und Feuerkraft der Streitkräfte von weitaus geringerer Bedeutung für die Kriegsentscheidung sind. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die Begriffe „Sieg“ oder „Kriegsentscheidung“ eine andere Bedeutung tragen als bei konventionellen Kriegen. Da es „Entscheidungsschlachten“ oder direkte militärische Siege bei diesen Kriegsformen kaum gibt, muss Erfolg in solchen Auseinandersetzungen anders definiert werden. Das Kriterium für Erfolg oder „Sieg“ kann nur darin bestehen, ob einer Konfliktpartei die Durchsetzung ihrer politischen Absichten gelingt, die dem Krieg oder Gewaltkonflikt zugrunde lagen. Dies können sehr unterschiedliche Dinge sein, wie die Übernahme staatlicher Macht, die Bereicherung einer Führungsgruppe oder die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die Etablierung einer Veto-Position über zentrale Entscheidungen, die Vernichtung einer politischen oder ethnischen Gruppe, politische Selbstbestimmung, Autonomie oder Unabhängigkeit, oder anderes. Solche Ziele können durch eine Kombination politischer und militärischer Mittel auch dann erreicht werden, wenn ein Krieg nicht militärisch „entschieden“ wird – in bestimmten Fällen kann sogar die Verewigung des Krieges eine Strategie zur Zielerreichung sein und würde damit Erfolg bedeuten. Viele Aufständische haben Kriege dadurch „gewonnen“, dass sie ihn gegen überwältigende militärische Übermacht schlicht nicht verloren haben. Der Kern der meisten aktuellen Gewaltkonflikte und „Kriege“ liegt deshalb nicht in der Zerschlagung oder Vernichtung der gegnerischen Streitkräfte. Dieses Ziel ist entweder unmöglich zu erreichen oder nur von niederer Priorität – da Aufständische sich kaum jemals in größeren Formationen zur Schlacht stellen, sondern in kleinen Einheiten Überraschungsangriffe aus dem Hinterhalt unternehmen. Solange sie dabei von relevanten Teilen der Bevölkerung unterstützt werden und von dieser ohnehin oft nicht zu unterscheiden sind, kann ein „militärischer Sieg“ über sie meist nur durch ethnische Säuberung oder Völkermord gelingen. Deshalb hat sich der im Kern immer „politische“ Krieg noch weiter politisiert und wird zunehmend um die Loyalität der Bevölkerung, oder zumindest um deren stillschweigende Tolerierung der Kriegsparteien, geführt. Diese wird zugleich zum Mittel und Ziel der Kriegführung, das hierarchisch organisierte Militär verliert in beider Hinsicht an Bedeutung. Dafür gibt es strategische und taktische Ursachen: Einmal werden solche gewaltsamen Konflikte primär um die politische Macht in einem Land geführt, und nicht, nur indirekt oder in zweiter Linie um einer fremden Regierung den eigenen Willen aufzuzwingen (etwa eine Provinz abzutreten) oder um eine Neuordnung der zwischenstaatlichen Beziehungen durchzusetzen. Innergesellschaftliche „Macht“ mag zwar eine wichtige gewaltsame bzw. militärische Dimension beinhalten, ist aber weit komplexer als der Sieg über eine fremde Armee. Früher wie heute gilt es im Krieg, den Willen und die Fähigkeit (beides hängt offensichtlich eng zusammen) des Gegners zur Fortsetzung des Konflikts zu brechen – aber während früher beides vor allem von der Funktionsfähigkeit und Stärke der eigenen Streitkräfte abhing, ist dies bei vielen der neuen Kriegsformen nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr der Fall. Bei den beiden oben genannten Kriegstypen wird dies in der Regel vor allem dadurch erreicht, dass dem Gegner die ökonomische, gesellschaftliche und politische Basis für die Führung des Krieges entzogen wird. Das aktuelle Handbuch der US Army und des US Marine Corps zur Aufstandsbekämpfung bringt dies so auf den Punkt: „It is easier to separate an insurgency from its resources and let it die than to kill every insurgent.“ Eine solche Trennung mag physisch oder politisch-psychologisch erfolgen – in beiden Fällen geht es darum, den Gegner von seinen materiellen und politischen Hilfsquellen abzuschneiden. Erst danach kann militärisches Vorgehen gegen einen solchen Gegner Erfolg zeitigen. Militärische Gewalt ist damit nicht bedeutungslos, aber sie wird von einer strategischen zu einer – wenn auch wichtigen – taktischen Variablen.
Governance, State building und Gegenstaatlichkeit Abgesehen vom nackten Zwang, der bis zum systematischen Staatsterror und ethnischen Säuberungen reichen kann, bleibt als Strategie zur erfolgreichen Beendigung von Aufstands- und unkonventionellen Bürgerkriegssituationen sowohl für Aufständische als auch Regierungen nur das zähe Ringen um die Unterstützung und Loyalität der zentralen gesellschaftlichen Sektoren des betroffenen Landes. In failed states tritt diese Notwendigkeit zum Teil erst verzögert ein, wenn es darum geht, die substaatlichen Machtbereiche auf Dauer zu sichern und zu quasi-staatlichen Einheiten zu transformieren. Die Herrschaft Ismail Khans im afghanischen Herat stellte ein Beispiel dafür dar, dass auch Warlords dieses Erfordernis erkennen. Dabei geht es allerdings nicht um oberflächliche Phänomene wie – prinzipiell schnell wandelbare – Zustimmungswerte bei Umfragen, sondern darum, die Akzeptenz der Bevölkerung gesellschaftlich zu verfestigen und zu organisieren. Deshalb wird der Kampf um Governance-Strukturen (also um gesellschaftliche Regelungsstrukturen staatlicher, halbstaatlicher oder nichtstaatlicher Art) zum strategischen Hebel solcher unkonventioneller, gesellschaftlicher Kriege. Letztlich ringen die Kriegsparteien um gesellschaftlich organisierte Legitimität – und jede militärische Gewaltanwendung, die diesem Ziel nicht dient oder ihm gar schadet, ist kontraproduktiv, selbst wenn sie im konventionellen Sinn „erfolgreich“ sein mag. Das Counterinsurgency-Handbuch von US Army und US Marine Corps formuliert diese Punkte in großer Klarheit: „Political power is the central issue in insurgencies and counterinsurgencies; each side aims to get the people to accept its governance or authority as legitimate. […] The prime objective of any COIN [counterinsurgency; JH] operation is to foster development of effective governance by a legitimate government. Counterinsurgents achieve this objective by the balanced application of both military and non-military means. […] (T)he decisive battle is for the people’s minds.“ In Bürgerkriegs- und Aufstandssituationen wird es praktisch immer ein breites Spektrum an Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung geben: Politisch oder ideologisch von der Sache der Aufständischen vollkommen Überzeugte, eher opportunistisch oder halbherzig sie Bevorzugende, Gleichgültige oder Neutrale, opportunistische oder halbherzige Regierungssympathisanten, überzeugte Regierungsanhänger, und darüber hinaus Menschen, die von einer oder beiden Seiten entweder eingeschüchtert, bedroht oder durch materielle oder andere Vorteile begünstigt werden. Ähnliches gilt weitgehend in Kriegen in failed states. Keiner Konfliktpartei wird es in der Regel gelingen, die gesamte oder den überwältigenden Teil der Bevölkerung zu ihren überzeugten Parteigängern zu machen, aber dies ist für einen Erfolg auch nicht erforderlich. Um einen solchen Krieg erfolgreich zu beenden genügt es meist, über einen überzeugten und organisierten Stamm eigener Unterstützer zu verfügen, die allerdings auch aktiv und mobilisierbar sein müssen (z.B. Informationen, Nahrungsmittel und andere Unterstützungsleistungen oder Rekruten bereitstellen), wenn es zugleich gelingt, die soziale Basis der Gegenseite zu demotivieren, zu schwächen, oder politisch zu lähmen, und den größten Teil der Bevölkerung zumindest zu wohlwollender Neutralität zu bewegen. Um diesem strategischen Ziel nahezukommen, müssen die Bürgerkriegsparteien den entsprechenden Teilen der Bevölkerung (a) etwas zu bieten haben, das die andere Seite nicht bereitstellen kann oder will (z.B. eine Landreform, politische Partizipation, Befreiung von ausländischer Besatzung, Wirtschaftswachstum, Stabilität, Rechtssicherheit, Überleben); (b) als legitimer erscheinen als die Gegenseite, gleich auf welche Weise; (c) die politische Unterstützung aus Teilen der Bevölkerung organisatorisch verfestigen und verstetigen und für den politischen und militärischen Kampf nutzbar machen; und (d) soweit möglich die sympathisierenden Bevölkerungsteile vor Repression und Verfolgung der Gegenseite schützen, zugleich die antagonistischen Gesellschaftssegmente verunsichern. Darüber hinaus bietet es sich oft an, (e) diese politischen Kernelemente programmatisch und ideologisch auf eine für die Bevölkerung plausible Art zusammenzufassen, die die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft fördert. In failed states wird darüber hinaus die ökonomische oder infrastrukturelle Abhängigkeit der Bevölkerung im Rahmen einer Kriegsökonomie eine besondere Rolle spielen, um die Bevölkerung einer Region zum Wohlverhalten zu bewegen, etwa durch Beschäftigungsmöglichkeiten in Milizen oder im Schmuggel. Das Ziel all dieser Anstrengungen besteht darin, Bedingungen zu schaffen, damit die Aufständischen – in den bekannten Worten Mao Tse Tungs – sich wie „Fische im Wasser“ der Bevölkerung bewegen können, oder, aus der Perspektive der Regierung, die „hearts and minds“ der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Genau darin liegt der strategische, über Sieg und Niederlage entscheidende Schwerpunkt jedes unkonventionellen Bürgerkrieges und jedes Aufstandes. Militärische Mittel sind für die Kriegsbeendigung hierbei nur insoweit relevant, wie sie diesem Ziel dienen oder den Gegner an dessen Erreichung hindern. Es ist offensichtlich, dass die Feuerkraft und Größe der Streitkräfte oder das Erobern oder Halten von Territorium hierbei weniger relevant sind als eine feste und dauerhafte politische Verankerung. Dabei verfügen existierende staatliche Strukturen in derartigen Konflikten prinzipiell über einen politischen Vorsprung. Real existierende gesellschaftliche und politische Strukturen erscheinen der Bevölkerung zuerst einmal als legitimer und „realistischer“ als nur gedachte Alternativen. Das Gegebene empfindet man leicht als „normal“ und selbstverständlich, bei bestehenden gesellschaftlichen Strukturen besteht die naheliegende Tendenz, sich zu arrangieren und darin einzurichten, während Aufständische zuerst einmal wenig mehr anzubieten haben als möglicherweise ungedeckte Wechsel auf die Zukunft. Daraus resultiert viererlei, nämlich: (1) dass Aufstandsbewegungen bei funktionierenden und erträglichen oder gar akzeptablen staatlichen (oder substaatlichen) Strukturen kaum eine Chance haben; (2) dass bei einem sich entwickelnden Aufstand theoretisch die beste staatliche Strategie darin besteht, durch Reformen zu einem funktionierenden und legitimen Staatsapparat zu werden – wobei manche illegitimen Regierungen diesen Weg kaum beschreiten können, ohne sich selbst um die Macht zu bringen; (3) dass die Aufständischen häufig darauf zielen werden, einen gering legitimierten und kaum funktionierenden Staatsapparat genau daran zu hindern und ihn weiter zu schwächen, indem sie seine funktionierenden Elemente zum Ziel politischer und militärischer Angriffe machen; und (4) dass die Aufständischen selbst sich stark darum bemühen werden, eigene Elemente von Gegenstaatlichkeit aufzubauen, sei es in „befreiten Gebieten“ oder parallel zu offiziellen Staatsorganen. Dabei geht es insbesondere um die Schaffung eines eigenen Rechtswesens zur Legitimierung der Herrschaft der Aufständischen (mit entsprechend hohem Legitimationspotential) oder eines Steuerwesens, das der Kriegsfinanzierung dient. Hierin liegt die politische Bedeutung einer Einführung der Sharia in Regionen des Irak, Afghanistans oder Pakistans, die das staatliche Recht ersetzen soll. Auch der Aufbau von Schulen und Krankenhäusern bietet sich immer wieder an, da sie die Kooperationsnotwendigkeit der Bevölkerung mit den staatlichen Instanzen vermindert, ihre direkten Bedürfnisse befriedigen hilft und propagandistisch und legitimatorisch attraktiv ist. In modifizierter Form gilt dies auch für Warlords, die ihre Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet auf diese Weise leichter absichern und stabilisieren können. Bei ihnen – aber auch in den meisten anderen Bürgerkriegsformen – hat allerdings die Zerstörung der Governance-Stukturen der Gegenseite Vorrang vor dem Aufbau eigener Institutionen.
Krieg um Loyalität Insgesamt hat sich der Trend zum politisch-sozialen – statt primär militärischen – Krieg fortgesetzt. Diese Aussage darf allerdings nicht missverstanden werden: Selbstverständlich waren Kriege auch früher immer „politisch“, da sie der Durchsetzung politischer Absichten dienten und auch unbeabsichtigte politische Wirkungen hatten; und ebenso selbstverständlich sind Kriege heute weiterhin „militärisch“ – sonst würde es sich ja nicht um Kriege handeln. Der Unterschied besteht vielmehr darin, dass die innergesellschaftlichen Kriege nicht nur wie ihre „klassischen“ Verwandten in letzter Instanz politischen Zielen dienen, während sie selbst vor allem ein militärisches Kräftemessen darstellten, sondern dass sie in der Regel bereits auf der taktischen Ebene und direkt auf politische Ergebnisse orientiert sind, nämlich auf die Beeinflussung des Verhaltens und der Einstellung der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass in unkonventionellen Bürgerkriegen, bei Aufständen und Guerillakriegen die strategische Entscheidung in aller Regel auf der politischen Ebene fällt, nämlich wie erwähnt durch das Ringen um die Loyalität der Bevölkerung und die Konkurrenz alternativer Governance-Strukturen. Dazu gehört aber auch, die Öffentlichkeit eines intervenierenden Drittlandes von der Legitimität, der Sinnhaftigkeit und dem Erfolg eines Krieges, beziehungsweise von dessen Sinnlosigkeit oder seiner Ungewinnbarkeit zu überzeugen. Militärische Mittel und Gewalt haben auf diesen Ebenen vor allem taktische Bedeutung. Beispielsweise sind Verluste von Regierungstruppen oder intervenierenden Streitkräften aus Drittländern potenziell relevant, um die Aussichtslosigkeit des Krieges für deren Regierung und Öffentlichkeit zu demonstrieren – aber nicht, weil solche eine militärische Niederlage der Regierung einleiten würden. In diesem Sinne spielt militärische Macht eine flankierende, absichernde und taktische Rolle, wird aber kaum jemals eine strategische Entscheidung herbeiführen. Interessanterweise ist dieser Tatbestand den Strateginnen und Strategen militärischer Aufstandsbekämpfung – insbesondere in der US Army und dem US Marine Corps – bekannt, wird aber in konkreten Kriegssituationen immer wieder systematisch ignoriert. Konventionell ausgebildete Militärs und viele zivile Politikerinnen und Politiker neigen dazu, sich auf eine konventionelle militärische Übermacht zu verlassen und diese für das wichtigste Instrument für den kriegerischen Erfolg zu halten. Die Zahl getöteter Feinde wird so zu einem zentralen Maß des militärischen Fortschritts – unabhängig davon, ob durch sie die politische Unterstützung des Feindes in der Bevölkerung sinkt oder steigt. So wird der Charakter solcher Kriege grundlegend verkannt. In den Worten des britischen Ex-Generals Rupert Smith: „Capturing the will of the people is a very clear and basic concept, yet one that is either misunderstood or ignored by political and military establishments around the world. The politician keeps applying force to attain a condition, assuming the military will both create and maintain it. And whilst for many years the military has understood the need to win the 'hearts and minds' of the local population, this is still seen as a supporting activity to the defeat of the insurgents rather than the overall objective, and it is often under-resourced and restricted to low-level acts to ameliorate local conditions and the lot of the people.”
Schlussfolgerungen für die Beendigung von Kriegen Insgesamt dürfte deutlich geworden sein, dass die an Zahl und Bedeutung zunehmenden innergesellschaftlichen Kriege – insbesondere unkonventionelle Bürgerkriege und Aufstände – völlig anderen Regeln und Dynamiken unterliegen als die klassischen Kriege zwischen Staaten oder bei konventionell geführten Bürgerkriegen. Die Kabinettskriege der Vergangenheit entwickelten sich zu den modernen, industriellen Massenkriegen zwischen Staaten, bei denen die Gesellschaften und Ökonomien immer mehr in den Dienst des Krieges gestellt wurden. Aus diesen zwischengesellschaftlichen – wenn auch staatlich organisierten – entwickelten sich die politisch-gesellschaftlichen Kriege, bei denen eine Entscheidung nicht mehr aufgrund militärischer Überlegenheit und einer Kontrolle von Territorium fällt, sondern durch die der Gesellschaft – wobei Vertreibung oder Völkermord in Ausnahmefällen extreme Möglichkeiten darstellen, wenn man deren Loyalität nicht erringen kann oder will. Damit änderte sich die Rolle militärischer Gewalt im Krieg vom strategisch entscheidenden zu einem taktischen Faktor. Aufgrund dieser Entwicklungen liegt nahe, dass auch die Beendigung von Kriegen nicht unverändert geblieben sein kann. Die in diesem Beitrag behandelten Kriegstypen können prinzipiell wie auch konventionelle Kriege durch Verhandlungen und Kompromisse beendet werden – sofern auf allen relevanten Seiten der politische Wille dazu vorhanden ist. Dies impliziert, dass sich während des Krieges die Kosten-Nutzen-Einschätzungen im Unterschied zum Kriegsbeginn verändert haben müssen, was durch sehr unterschiedliche Faktoren bewirkt werden kann: Etwa durch Erschöpfung/Kriegsmüdigkeit, die wachsende Einsicht in die Nichterreichbarkeit der ursprünglichen Kriegsziele, veränderte gesellschaftliche oder internationale Rahmenbedingungen, materielle Anreize oder die Vermeidung materieller Nachteile, einen Wechsel des Führungspersonals oder eine Neudefinition der eigenen Interessen. Dabei sind politisch-psychologische Faktoren als fördernd oder hemmend zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die emotionale Aufladung ethnischer oder ethno-religiöser Identitäten, Prestigedenken und Bedürfnisse der Gesichtswahrung oder Traumatisierung aufgrund exzessiver Gewalt. Solche Lösungen durch Kompromiss und Verhandlungen sind allerdings nicht zu jedem historischen Zeitpunkt möglich, sondern erst wenn der politische Wille entstanden ist – und dieser darf nicht einfach vorausgesetzt oder unterstellt werden. Außerdem gelingen sie am ehesten bei einer möglichst geringen Zahl an Konfliktparteien, die darüber hinaus die reale Kontrolle über ihre bewaffneten Kräfte ausüben. Bei einer zunehmenden Zahl an Kriegsparteien vermindern sich die Chancen auf eine diplomatische Lösung – alle anderen Voraussetzungen gleichgesetzt – da die Wahrscheinlichkeit steigt, dass einige relevante Gruppen zu „Störenfrieden“ (spoilern) werden und sich einer politischen Lösung verweigern. Die Chance auf eine Verhandlungslösung sinkt ebenfalls, wenn politische Führerinnen und Führer unfähig sind, wirksame Kontrolle über ihre Streitkräfte bzw. Anhänger auszuüben. Dann mag zwar ein politischer Kompromiss zwischen den jeweiligen Führungspersonen möglich sein, aber dieser wird innerhalb der verfeindeten Lager eventuell nicht akzeptiert werden. Diese Erschwernis eines Friedensschlusses hängt offensichtlich damit zusammen, dass die oft heterogenen Bevölkerungen im Krieg nicht länger abseits stehen, nicht länger auch bloße Opfer des Krieges sind, sondern selbst zu Subjekten und teils auch zu Tätern werden. Wenn aber unterschiedliche Teile einer Gesellschaft, teilweise innerhalb einer Nachbarschaft, aneinander Massaker, Vergewaltigungen und Vertreibungen begehen, hinterlässt dies tiefere emotionale Wunden als bei der Gewalt zweier staatlicher Armeen gegeneinander. Damit stellt sich die schwierige Aufgabe, zumindest einen Teil des Friedensprozesses von der diplomatischen Ebene auch in die Gesellschaft hineinzuverlegen, wozu es bisher nur wenige und überwiegend unzureichende Erfahrungen gibt. Eine Beendigung innergesellschaftlicher unkonventioneller Kriege durch den „Sieg“ einer Seite – das idealtypische Ende klassischer Kriege – trägt einen völlig anderen Charakter als bei primär militärischen Auseinandersetzungen. Er ist notwendigerweise graduell und oft zuerst kaum erkennbar: Da solche Kriege gerade nicht durch Entscheidungsschlachten gewonnen werden, sondern durch die Stärkung und Festigung von Governance-Strukturen und Mobilisierung politischer Loyalität lässt sich häufig erst in der Rückschau angeben, wann genau ein solcher „Sieg“ eingetreten ist. Ein bloßes Nachlassen der Gewalt beispielsweise ist nicht unbedingt ein Indiz für ein bevorstehendes Kriegsende, da das Gewaltniveau im Konfliktverlauf häufig schwankt oder zyklisch verläuft. Der entscheidende Hebel zu einer dauerhaften Beendigung solcher Kriege – im Gegensatz zu einer möglicherweise auch mehrjährigen Kampfpause aus Erschöpfung – liegt in der Schaffung zugleich legitimer und grundlegend funktionsfähiger Governance-Strukturen, die in der Gesellschaft akzeptiert werden, ein grundlegendes Rechts- und Sicherheitswesen bereitstellen und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft erlauben. Solche Strukturen dürfen allerdings nicht nur symbolisch – etwa auf die Hauptstadt beschränkt – bleiben, sondern müssen bürgernah möglichst im ganzen Land verankert sein und persönliche und Rechtssicherheit zum Kern haben. Staatliche oder parastaatliche Strukturen, die größeren Teilen der Bevölkerung als willkürlich, „ungerecht“, korrupt oder als Fremdherrschaft erscheinen, können die Ziele einer Stabilisierung und der Beendigung von Gewaltkonflikten nicht erreichen, sondern erscheinen als illegitim und sind in der Regel konfliktfördernd. Von Bedeutung sind in erster Linie die Fairness, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit dieser Institutionen, in zweiter Linie ihre Wirksamkeit und Effizienz, und erst danach folgen Partizipationsmöglichkeiten oder demokratische Elemente. In einem solchen Rahmen von Governance kann auch die Schaffung sozialer Infrastruktur (etwa Schulen, Krankenhäuser, etc.) einen Beitrag leisten, während dies ohne eine Einbettung in funktionierende Governance-Strukturen keine nachhaltige Wirkung der Befriedung erzielt. Innergesellschaftliche Kriege werden also insgesamt durch eine Reintegration fragmentierter gesellschaftlicher Strukturen zu beenden sein, die bestimmte Formen von staatlicher oder substaatlicher politischer Verregelung und Institutionenbildung voraussetzt. Erst auf dieser Basis gewinnt die Anwendung militärischer Gewalt in Kontexten von Aufstandskriegen oder failed states eine mögliche Relevanz zur Kriegsbeendigung, sonst wird sie den Krieg eher in die Länge ziehen und die Opferzahl erhöhen. Deshalb sollte nicht vergessen werden, dass sowohl militärisch gestützte „Sicherheit“ als auch Entwicklungspolitik das Ziel einer Kriegsbeendigung oder Befriedung nicht aus sich selbst erreichen können, sondern nur, wenn diese beiden Politikfelder in den Dienst der Schaffung eines Systems legitimer und wirksamer Governance-Strukturen gestellt werden.
Quelle:
Jochen Hippler „The Decisive Battle is for the People’s Minds“ – Der Wandel des Krieges: Folgerungen für die Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik; in: Jochen Hippler, Christiane Fröhlich, Margret Johannsen, Bruno Schoch, Andreas Heinemann-Grüder (Hrsg.); Friedensgutachten 2009, Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Bonn International Center for Conversion (BICC), u.a., Münster 2009, S. 32-47
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