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Jochen Hippler

Stabilität und Regierungskrise in Pakistan

 

Als wären der gewaltsame Aufstand an der afghanischen Grenze, die Welle des Terrorismus, die Wirtschaftskrise und die Jahrhundertflut des Sommers nicht genug, wird Pakistan in den letzten Wochen nun auch noch von einer Regierungskrise erschüttert. Der Besuch Außenminister Westerwelles erfolgte also in einem höchst problematischen Kontext. Im Dezember verließ der kleinste Koalitionspartner, die reaktionär-religiöse JUI, die Regierung, im Januar erklärte die säkulare Regionalpartei MQM ihren Austritt, um kurz darauf doch wieder halbherzig ihre Unterstützung der Regierung zu erklären. Zugleich aber weigerte sie sich, erneut Minister ins Kabinett zu entsenden. Damit hängt die Existenzfähigkeit der von der Pakistanischen Volkspartei (PPP) geführten Regierung Ministerpräsident Gilanis weiter an einem seidenen Faden. Ihre Handlungsfähigkeit ist stark eingeschränkt, da sie kaum noch in der Lage ist, politische Erpressungsversuche zurückzuweisen. Zugleich aber steht eine Ablösung der Regierung nicht direkt bevor, da die Opposition gespalten ist und keine tragfähige Alternative bietet.

Die gegenwärtige Regierung wurde aufgrund demokratischer Wahlen Anfang 2008 gebildet. Dabei hatte sich die Pakistanische Volkspartei (PPP) der Familie Bhutto durchgesetzt, allerdings eine eigene Mehrheit verfehlt. Die Pakistanische Muslim Liga (PML) des früheren Ministerpräsidenten Nawaz Sharif war mit deutlichem Abstand auf den zweiten Platz gelangt, wurde aber von PPP-Präsidenten Zardari bald als Koalitionspartner ausgebootet. Die religiösen Parteien (vertreten durch die konservativ-ländliche JUI mit ihren Sympathien für die afghanischen Taliban; ihre Konkurrenz der moderneren JI hatte an den Wahlen nicht teilgenommen, die anderen religiösen Parteien waren gescheitert) waren dramatisch geschwächt. Eine Reihe kleiner oder mittelgroßer Parteien (wie die paschtunisch-nationale ANP, die MQM mit ihrer Basis in den Großstädten der Provinz Sindh, oder eine Abspaltung von der Muslim-Liga) sowie Unabhängige errangen darüber hinaus eine signifikante Zahl an Mandaten.

Die Wahlen signalisierten einen demokratischen Aufbruch, der den Ex-Diktator General Musharaf bald zum Rücktritt als Präsident zwang - sowie eine schallende Ohrfeige für die religiösen Parteien, deren Vertretung im Parlament nur noch marginal war - sie errangen nur 1,8 Prozent der Sitze. Die Euphorie verflog allerdings rasch, da der höchst unbeliebte neue Präsident Zardari durch eine Hinhaltetaktik und Hinterzimmertricks die Pakistanische Muslim-Liga in die Opposition zwang und so das Lager der Wahlsieger spaltete. Seine Koalition bestand schließlich aus der PPP, der paschtunischen ANP, der - faktisch ebenfalls paschtunischen, religiösen JUI und der säkularen MQM, die zuvor mit Musharraf kollaboriert hatte und bei vielen Pakistanern aufgrund ihrer Organisation und Gewaltbereitschaft als "faschistisch" gilt. Das Ausbrechen der JUI erfolgte offiziell wegen der drastischen Erhöhung der Benzinpreise, aber auch wegen der Entlassung eines ihrer Minister aufgrund von Korruptionsvorwürfen. Die Mehrheitsverhältnisse wurden durch diesen Schritt allerdings kaum verändert, da die JUI über nur wenige Abgeordnete verfügt. Politisch allerdings wog es schwerer, da die säkulare Regierung nun mit stärkerer außerparlamentarischer Opposition durch religiöse Kräfte rechnen muß. Auch der Rückzug der MQM wurde mit der Preiserhöhung für Benzin gerechtfertigt, der tatsächlich - wie auch die deutlich gestiegenen Lebensmittelpreise - besonders die ärmere Bevölkerung trifft. Ohne die MQM allerdings verfügte die Regierung nur noch über 160 Abgeordnete,  während die Oppositionsparteien auf 180 kämen. Damit warf der - zeitweilige - Rückzug dieser Partei die Frage nach der weiteren Regierungsfähigkeit auf. Allerdings: Die beiden Flügel der PML sind so sehr miteinander verfeindet, daß es schwierig sein dürfte, sie gemeinsam handlungsfähig werden zu lassen, und auch die Beziehungen der PML (Nawaz Sharif-Flügel) zur MQM sind hochgradig gespannt. Damit wäre eine Regierungsbildung durch die Opposition extrem schwierig - was dazu führte, daß die MQM nach kurzer Zeit halbherzig zu einer Unterstützung der Regierung zurückkehrte, nachdem diese die Benzinpreiserhöhung zurückgenommen hatte. In gewissem Sinne stimmt die MQM also nun wieder für die Regierung, nimmt sich aber alle Freiheiten einer Oppositionspartei heraus. Damit verfügt die PPP-geführte Regierung wieder über eine Mehrheit. Allerdings ist diese alles andere als stabil und sicher, und hängt am Wohlwollen der MQM. Die Lage für Ministerpräsident Gilani wird dadurch noch schwieriger, daß der Internationale Währungsfonds und andere Geldgeber die Rücknahme der Benzinpreiserhöhung deutlich kritisiert haben: Außen- und wirtschaftspolitisch wäre eine Preiserhöhung notwendig, innen- und sozialpolitisch bedeutete sie aber den möglichen Sturz der Regierung. Deshalb ist es kaum übertrieben, die gegenwärtige Regierung als eine auf Abruf zu betrachten.

In dieser Situation politischer Instabilität erfolgte die Ermordung des Gouverneurs der entscheidenden Provinz Punjab durch einen seiner Leibwächter. 20 Schüsse trafen den Gouverneur, als Hintergrund steht religiöser Extremismus fest: Der getötete Politiker hatte sich deutlich gegen diskriminierende religiöse Gesetze gewandt, die die Minderheiten benachteiligen, und der geständige Täter erklärte, von den Reden zweier Prediger zur Tat angeregt worden zu sein. Der Mord stellt für die Regierung aus zwei Gründen ein besonderes Problem dar: Einmal, weil er das Klima des religiösen Extremismus in Teilen der pakistanischen Gesellschaft reflektiert und den geringen Spielraum der säkularen Regierung verdeutlicht. Es ist kein Zufall, daß der Ministerpräsident sogleich deutlich machte, die berüchtigten Blasphemiegesetze nicht antasten zu wollen. Zweitens aber kompliziert sich die politische Lage im Punjab weiter, wo die knappe Mehrheit der Pakistaner lebt. Dort ist die PPP als Juniorpartner an einer Koalition mit der PML Nawaz Sharifs beteiligt, aber politisch entbehrlich. Ein erzwungenes Ausscheiden würde diese Schlüsselprovinz zur Bastion der Opposition werden lassen und so die Position der Regierung in Islamabad weiter untergraben.

Das eng verwobene Bündel der Problem und Konflikte in Pakistan ist höchst unübersichtlich. Deshalb ist es wichtig, die Kernprobleme und Ursachen der Instabilität von ihren Symptomen zu trennen. Die Grundprobleme Pakistans bestehen in seinen politischen Eliten und dem deformierten Charakter des Staates. Pakistans Eliten tendieren dazu, ihre privaten Interessen mit denen der Gesellschaft und des Staates zu verwechseln. Dabei verbinden sie eine schwache Leistung für die Allgemeinheit mit exzessiver Korruption, was Präsident Zardari symbolisiert. Darüber hinaus ist der Pakistanische Staat in zentralen Bereichen höchst schwach. Seine gesellschaftlichen Integrationsleistungen sind unterentwickelt, die Bereitstellung gesellschaftlicher Infrastruktur mangelhaft. Zugleich sind seine Repressionsorgane überentwickelt, insbesondere das Militär. Zusammengenommen erklärt dies die geringe Legitimität des Staates und der Politik in Pakistan, was ein politisches Vakuum erzeugt. Die Schwäche der Parteien, die Fragilität der Regierung, der zunehmende religiöse Extremismus und die Welle der Gewalt sind vor allem Ausdruck dieser Situation.

Wenn der Bundesaußenminister in Pakistan vor allem die mögliche Rolle Pakistans für die Befriedung Afghanistans betont, birgt dies ein beträchtliches Risiko. Zwar könnte Pakistan eine gewisse - allerdings oft überschätzte - Rolle für eine friedliche Entwicklung Afghanistans spielen, allerdings nur, wenn es selbst stabil und innerlich gefestigt wäre. Dies ist aber gegenwärtig nicht der Fall. Im Gegenteil: Das Hereinziehen Pakistans in den Afghanistankrieg und seine erzwungene Rolle im US-"Krieg gegen den Terrorismus" haben wesentlich zur Destabilisierung Pakistans beigetragen. Einerseits hat sich der Afghanistankrieg faktisch auf die paschtunischen Stammesgebiete in Pakistan ausgeweitet und von dort andere Landesteile mit der Gewalt infiziert. Andererseits hat die Unterstützung der USA durch die pakistanische Regierung diese in den Augen der Bevölkerung massiv weiter delegitimiert. Letztlich hat die US-amerikanische und europäische Politik, Pakistan als Bauer im Afghanistankrieg zu nutzen, dieses Land an den Rand einer Katastrophe geführt - ein Land, dessen Bedeutung nicht nur aufgrund seines Bevölkerungsreichtums (170 Millionen Einwohner) und seiner Atomwaffen weit über die Afghanistans hinausgeht. Die internationale Politik sollte also primär auf die Stabilisierung Pakistans zielen - und dies erfordert keine Ausweitung der militärischen Hilfe, keinen verstärkten Druck zur Abriegelung der Grenze, der den Bürgerkrieg im Nordwesten noch verstärkt - sondern vor allem das massive Eintreten zur Stärkung einer legitimen pakistanischen Staatlichkeit. Dabei sind die Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der entschlossene Kampf gegen die Korruption, die Entwicklung der pakistanischen Parteien von Cliquen einflußreicher Männer zu demokratischen Organisationen und eine Reduzierung der Macht des Militärs zentral. Aufgrund des Afghanistankrieges die Deformierung des Staates und der Politik in Pakistan zu tolerieren und gar zu fördern, wird auf Dauer auch die Möglichkeiten Pakistans, dämpfend auf Afghanistan einzuwirken, weiter untergraben.

 

 

Jochen Hippler,
Pakistan im Krisenwirbel,
in:
Blätter für deutsche und internationale Politik, Februar 2011, S. 23-25

 

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